Man trägt jetzt wieder Brett vor dem Kopf

Utility Chic ist gerade ein Thema in der Mode: Kleidung mit praktischen Elementen ist modisch relevant, wie z.B. Bauchtaschen, die wir schon mehrfach thematisiert hatten. Auch der Trend Athleisure begleitet uns nun schon etwa seit 2014, ebenso wie das 90er-Revival. Nun bringt ein Blick auf die abgelaufene Saison ein weiteres Trend-Accessoire hervor, das allen drei Strömungen zuzuordnen ist: Baseball-Kappen.
Auf wessen Kappe geht dieser Trend?
Jahrelang habe ich meinen Vater gescholten: Im Alltag ist er höchst stilsicher, mit gestärktem Hemd, Monkstraps und elegantem Mantel unterwegs. Beim Strandurlaub hingegen musste ich immer den Kopf über ihn schütteln. Mit seinem bevorzugten Sonnenschutz, der Schirmmütze, sah er für mich einfach wie der typische, deutsche Tourist aus (allerdings ohne Adiletten und Sonnenbrand).
Zum Glück verfolgt er nicht die Fashion Weeks: Max Mara, Chanel, Elie Saab, Balenciaga, Off-White – sie alle zeigten Baseball-Caps auf dem Laufsteg. Völlig unironisch.
 
Baseball-Cap aus der Kollektion FENTY Puma x Rihanna. Um 100 Euro.
Baseball-Cap aus der Kollektion FENTY Puma x Rihanna. Um 100 Euro.
Zwei Figuren sind für mich außerdem besonders relevant: Da ist zum einen Demna Gvasalia, der wie ein Halbgott von der Mode für seine Ich-mache-alles-anders-Strategie gefeiert wird. Er zeigt sich fast nie ohne Kappe und er, bzw. Stylistin Lotta Volkova, hat auch Caps bei Balenciaga und Vetements gezeigt.

Die Krone des gewöhnlichen Mannes

Dann gibt es noch eine andere Figur, die vermutlich kaum jemand als Stil-Vorbild nennen wird, aber an der man die Symbolik ablesen kann: Donald Trump. Sein Cap mit „Make America Great Again“-Schriftzug wurde zu seinem bekanntesten Merchandising-Produkt. Es wird – nur so nebenbei bemerkt – in China produziert. Er setzt mit der Wahl dieser Kopfbedeckung ein Zeichen. Es ist eine Aussage: Ich trage keinen Hut, denn ich gehöre nicht zum korruptem Establishment. Ich bin Arbeiterklasse, einer von euch. Was nicht stimmt, aber das gilt bei ihm ja für viele Aussagen. „Die Kappe ist die Krone des gewöhnlichen Mannes“, titelte die New York Times einmal. Warum das so ist, zeigt ein kurzer Ausflug in die Kostümkunde:
Eine Kopfbedeckung verleiht im wahrsten Sinne „Größe“, denn sie schummelt ein paar Zentimeter hinzu. Aber, und das ist hier wesentlicher, Hüte sind ein Symbol der Macht und sind historisch gesehen ein Zeichen des Establishments. Schon im ägyptischen Altertum waren Kopfbedeckungen Herrschern, Priestern und Göttern vorbehalten. Auch als sie sich im Mittelalter als allgemeiner Bestandteil der Kleidung durchsetzten, behielten sie eine wichtige Symbolkraft: Hüte drückten die Standeszugehörigkeit aus, waren Revolutionsutensil oder Zeichen der Ausgrenzung, wie der Judenhut. Eine Hutbedeckung war für Damen und Herren kein modisches Accessoire, sondern ebenso selbstverständlich wie Socken. Das blieb so bis in die Fünfzigerjahre.
Dann kam der Hut in die Krise, wie die Zahlen beweisen. In den Vereinigten Staaten erwirtschaftete die Hutbranche Anfang der Fünfzigerjahre noch 125 Millionen Dollar. Schon 1960 hatte sich der Umsatz halbiert. Auch in Deutschland mussten zwischen 1968 und 1976 fast 40 Prozent aller Hutfabriken ihre Produktion einstellen. Von den rund 90 bundesdeutschen Hutfabriken, die es Anfang der sechziger Jahre noch gab, hat nur eine Handvoll überlebt.
Für den Niedergang des Huts gibt es gleich mehrere Gründe: Der Trend zu toupierten, voluminösen Frisuren im Stil von Farah Diba, der persischen Kaiserin, und der auftoupierte Beehive verdrängten den Hut bei Damen. Das Aufkommen schneller, schnittiger Autos mit niedrigen Dächern und die Verbreitung des sportlichen „New American Look“ (sozusagen die Mutter von „Athleisure“) mit dem populären Vertreter John F. Kennedy trugen ebenfalls dazu bei. Statt Hut trug man jetzt zusammenknautschbare, weniger empfindliche Mützen, ehemals die Kopfbedeckung der Arbeiterklasse, um den Kopf vor Sonne, Regen, Wind zu schützen oder das vielleicht schon lichter werdende Haupthaar zu verstecken. Sogar Staatsoberhäupter verzichteten bei offiziellen Anlässen immer häufiger auf den Zylinder oder andere formale Kopfbedeckungen. Denn: Rund 20 Jahre nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges galten Hüte als Abzeichen des verhassten Establishment und des Militärs. Die antiautoritäre 68er-Bewegung wollte nicht aussehen wie die reaktionäre Elterngeneration.
Die Mütze ebnete dann den Weg für Bandanas, Beanies und Baseballcaps. Letztere wurde in den Achtzigerjahren dann zum wahren It-Piece. Sie wanderte, auch durch die umfassendere TV-Übertragung, vom Spielfeld des amerikanischen Nationalsports Baseball auf den Kopf von Straßengangs, dann zu Identifikationsfiguren wie Rap-Stars (vor allem die „Flat Brim Cap“ mit steifem, statt gebogenem Schirm), Skatern und Idolen wie Tom Selleck alias Magnum.
New Era Baseballcap
Ausgestattet werden die Spieler der Profi-Liga Major League exklusiv von dem Unternehmen New Era, das 1920 von Erhardt Koch (jawohl, ein Deutscher) gegründet wurde. Bevor New Era die Baseball-Cap etwa 1954 erfand, trugen die Spieler Strohkappen. Ab 1979 verkaufte New Era die Kappen auch an Jedermann. Hier eines der bekanntesten Modelle mit dem Logo der New York Yankees.
Weil die Schirmmütze nicht nur sehr praktisch (Stichwort: Utility Chic), sondern auch richtig günstig in der Herstellung ist, wurde sie Mitte der 1990er nach amerikanischem Vorbild auch Teil der Uniformmode deutschsprachiger Länder. Die „Polizei“-Kappe von Vetements kostet übrigens rund 240 Euro, aber davon lässt sich die Trend-Elite nicht abschrecken.

Street Style: Die Baseball-Kappe als It-Piece

 

Wie man sie trägt? Am besten gar nicht.

Wenn das so weitergeht, dann ist bald die halbe Familie von Fashion-verrückten Frauen enteignet:  Boyfriend-Blazer, Mom-Jeans, Dad-Pants (Cargo-Hose). Die Brillenkette mopsten wir von Oma und jetzt ist der kleine Bruder dran, wahlweise auch der Golf-spielende Vater. Bleibt noch die Frage: Wie trägt man die Kappe? 
Wenn es nach mir ginge,  einer überzeugten  „Erstmal-alles-albern-finden“-Kritikerin, trägt man sie am besten gar nicht. Außer vielleicht beim Sport. Ansonsten: mit unerschütterlicher Würde. Und dem Wissen, das man ganz früh dran war mit dem Trend. Ich trage derweil Scheuklappen in Form der Kapuze meines Hoodies. Den hab ich mir übrigens auch wieder erst ein halbes Jahr nach allen anderen gekauft. Hab ich das Brett vor dem Kopf?

Baseball-Kappen sind...

Photo Credit: Catwalkpictures, New Era
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • StephKat sagt:

    Ich bin doch nicht Mark Forster!