Ja, wo baumeln sie denn?
„Ist das Dein Ernst? Das ist ja furchtbar“, entgegnet mir Barbara im ersten Moment, als ich den „Brustbeutel“ als Trendthema vorschlage und sogleich hinzufüge, dass ich selbst auch unbedingt einen haben möchte.
Ich verstehe sie: Zuletzt trug ich einen Brustbeutel, als ich mit etwa neun Jahren zum ersten Mal alleine geflogen bin und mir eine nette Stewardess die wichtigsten Unterlagen in einer durchsichtigen Plastikmappe um den Hals hängte. Eine Zahnspangen-Box im Teenageralter blieb mir glücklicherweise erspart, aber ich habe noch eine lebhafte Erinnerung an meine Klassenkameraden und ihre knallbunten Plastik-Dinger. Kurzum: Uncooler geht es nicht. So ist es auch bei Wikipedia verewigt: „Brustbeutel wurden im 20. Jahrhundert oft von Kindern getragen, mehrheitlich auf Wunsch der Eltern, wodurch sie bei Jugendlichen oft als uncool galten. In ihnen wurden Kleingeld für das Telefon, die Schülerfahrkarte und andere Utensilien verwahrt." Weitere Zielgruppen beschränkten sich auf Raver, reisende Rentner und Rapper wie „Hafti“. Letzter trägt ihn mittig auf der Brust, dazu Jogginghose, Hoodie, Cap und weiße Socken.
Stil-Spiel mit dem Anti-Chic
Doch gute Designer haben die Fähigkeit, aus Kleidung „Mode“ zu machen. Also irgendwie abseitige Stücke in neues Licht zu rücken. So können aus praktischen Alltagsgegenständen It-Pieces werden und dieses Stil-Spiel mit dem Anti-Chic ist gerade bestimmend in der Mode: Prada macht aus Trekking-Sandalen coole Hipster-Schuhe, und Marni aus Touristen-Bauchtaschen elegante Hip-Bags. Durch Demna Gvasalias Balenciaga-Looks sind Daunenjacken cool und dank Chanel könnten Radlerhosen ernsthaft ein Trend werden. Birkenstocks, Brillenketten, Truckercaps, Granny-Shoes – die Liste ist endlos.
Die Wandlung vom „No Go“ zum „Muss-ich-haben“-Teil ist kein Phänomen der von Trend besessenen Neuzeit: Auch der Mini-Rock galt einst als vulgär (>>> Warum die Mode Skandale braucht), der Jute-Beutel als uncool und die Nerd-Brille als... naja eben nerdig. Wer also glaubt, die Mode von heute sei schrecklich und stillos, der hat sich einfach noch nicht an den Anblick gewöhnt. Und nun hat also der Brustbeutel seine Chance.
Ich hatte zwei Aha-Momente, den einen im Flagship-Store von Loewe in Madrid. Da wollte ich gerne eine hübsche, aber unnützige Kleinigkeit kaufen, wie einen Schlüsselanhänger. Was ich dann wirklich habe wollte, war leider unverkäuflich: Die Mitarbeiter tragen dort kleine, braune Taschen an einer Leder-Schnur. Es ist kaum größer als eine Handy-Hülle, so passen nur Smartphone und Visitenkarten herein. Die kleinen Taschen baumeln allerdings nicht Schulkind-artig um den Hals, sondern werden cross-body, also quer über den Oberkörper getragen.
Endgültig um mich geschehen war es dann beim Showroom-Besuch bei Gabriele Frantzen. „Die meisten Entwürfe entstehen tatsächlich aus einem ganz persönlichen Bedürfnis“, erzählte sie mir. Darum entwarf sie eine mit Tiermotiven geprägte Tasche, etwa so groß wie eine kleine Clutch, die sie mit ihren „Bag straps" kombinierte. Offenbar trifft sie damit den Zeitgeist. Denn bei dem Pariser Luxus-Department-Store Le Bon Marché war man so begeistert von ihren Brustbeuteln, die man jetzt ganz modern „Neck bag“ nennt, dass man ihnen gleich ein ganzes Schaufenster widmete.
Im Gegensatz zu den Mini und Micro-Bags, die wir Modepilotinnen nicht mögen, wirkt so eine Handy-Halstasche nicht zickig, sondern lässig. Es ist ein bisschen die „Mir doch egal“-Attitüde, die dabei mitschwingt, wenn man sich so einen Beutel um den Hals hängt. Mir doch egal, dass ich glänze wie eine polierte Eisbahn (und keine Kosmetiktasche mit rumschleppe). Mir doch egal, dass man bei den kleinen Beuteln kaum das Logo sieht (wer braucht heute noch Statussymbole). Mir doch egal, wenn Andere in ihren Taschen ihre halbe Welt herumtragen – ich hab dafür die Hände frei. „Hang loose“ ist für mich auch eine Form der Freiheit und Selbstbestimmung.
Hang loose! Der Designer-Brustbeutel
Wie immer, wenn sich Edelschneider vermeintlich unästhetischen Gegenständen widmen, macht den Unterschied das Material, die Ausführung und das „Wie“. Sprich: Wie trägt man Sie? Die Fusion aus Minaudière und Kreditkartenetui baumelt nur bei Givenchy und Hermès mittig unterm Hals. Bei Valentino, Chanel und Lanvin sind die Ketten länger, die Mini-Tasche hängt auf Hüfthöhe.
Als Kind hat man Brustbeutel um den Hals tragen müssen, weil man ja ständig seine sieben Sachen verloren hat. Man hatte noch kein Bewusstsein für Eigentum, war völlig sorglos und nur auf eines aus: das reine Vergnügen. Die kleinen Taschen sind vollgepackt mit der Erinnerung an diese Leichtigkeit. Welches Accessoire kann das schon von sich behaupten?
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Photo Credit: Catwalkpictures, Givenchy, Gabriele Frantzen
Kommentare
Auch wenn die Dinger hier wesentlich besser aussehen als "anno-dazumal" - mir kommen die Sachen nicht ins Haus! :))
Da hab ich doch lieber lange Halsketten, und das größte, was da reinpasst, ist ein Foto von mir und meinem Schatz in einem Foto-Anhänger von http://www.ella-juwelen.de - die Zeiten der Zahnspange sind ja zum Glück vorbei :))
lg Sina