Basics ­− Wenn ich bei null anfangen müsste

Im Herbst vergangenen Jahres kam „Konsum − Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen“ heraus. Das Buch von Carl Tillessen trifft derart unser aller wunden Punkt, dass es mittlerweile den „Spiegel Bestseller“-Stempel trägt. Auch ich habe es schon mehrfach weiterempfohlen und tue es hiermit liebend gern noch ein weiteres Mal.
In dem Buch des Trendanalysten erkennt sich vermutlich jeder wieder. Denn auch wenn es sich nur wenige eingestehen möchten, wir konsumieren allesamt viel zu viel! Daran sind viele schuld, aber einer davon sind wir selbst. Tillessen beschreibt die Shopping-Falle, in die wir alle gemeinsam sitzen − und wie wir da hinein geraten sind: Wie Globalisierung und Digitalisierung zur kollektiven Besitzinfarkt (Konsum löst Glücks-, Bestätigungs- und Belohnungsgefühle aus) geführt haben. Und wie Millionen andere, also die die für ein  paar Euro unsere Droge herstellen, darunter leiden.
Die Zahlen und Fakten, die er recherchiert hat (Beispiel: Ein deutscher Durchschnittshaushalt hatte vor 100 Jahren noch 180 Gegenstände, heute sind es 10.000.), regen die Selbstreflektion an genau so wie die Vergleiche, die er zieht:
„Denn in unserer übersättigten und vollgestopften Gesellschaft gilt ein minimalistischer Lebensstil als die Traumfigur des Konsums. Er ist sozusagen das Sixpack unter den Lebensstilen, der ultimative Ausweis von Disziplin und Selbstbeherrschung.“
Carl Tillessen by Martin Mai
Carl Tillessen
Ich wollte nun von dem ehemaligen FIRMA-Macher, Maßschneidermeister, Betriebswirt und Kunsthistoriker wissen, wie sein Sixpack des Lebensstils aussieht. Was würde sich Carl Tillessen sofort wieder kaufen, wenn er nackt und nur mit einer Kreditkarte in der Hand auf der Straße stünde? Nummer 11 ist meine Lieblingsbeobachtung und Nummer 5 kaufe ich nach.

11 Lieblingsbasics von Carl Tillessen

1. Armband

Bevor ich mir eine Unterhose kaufe, muss erst einmal etwas ans Handgelenk. Ich fühle mich tatsächlich immer dann besonders nackt, wenn ich nichts am Handgelenk trage. Mich begleitet da schon länger dieser superschlichte Hermès Lederarmreif. Dafür müsste sofort ein Ersatz gefunden werden. Ich habe da immer irgendetwas. Das trage ich nicht für mich, das trage ich für andere, also nicht wegen des Gefühls oder so, sondern weil ich total dünne Handgelenke habe und ich möchte nicht zerbrechlich aussehen. (An seinem anderen Handgelenk trägt Tillessen eine Armbanduhr, Anm. d. Red.)
Hermes Lederarmband Modepilot
Doppelt gelegtes Lederarmband 'Behapi' von Hermès

2. Unterhose

Das ist eines der ersten Dinge, die sich durch die Arbeit an dem Buch bei mir änderten. Mir ging beim Schreiben des Buches auf − wahrscheinlich ähnlich wie dem Leser −, dass es sehr viele Dinge sind, die man eigentlich weiß, aber eben gern verdrängt. Und dabei ist mir eben aufgefallen, dass man sich gern mal so Ausnahmen gönnt. Also wie beim Essen: Man ernährt sich immer gesund und gut und kauft vielleicht Bioprodukte und dann fährt man bei der Autobahnraststätte raus: So, und jetzt Mc Donald's. So war das bei mir mit Kleidung: immer hochwertig, in Europa produziert, langlebig verarbeitet, usw., und dann plötzlich das Dreierpack Unterhosen von einem Fast Fashion Anbieter. Ich erlaube mir diese Ausnahmen nicht mehr.
Mey Unterhose mit Eingriff Modepilot
Carl Tillessen trägt... eine Unterhose aus 100 Prozent supergekämmter, peruanischer Pima-Baumwolle von Mey, über Mey.de >>>
Da kaufe ich mir jetzt lieber die nachhaltig produzierte Mey-Unterwäsche mit Eingriff aus der super-gekämmten Pima-Baumwolle. Ich kaufe beides, Mey und Zimmerli. Da die ­Sea Island-Unterhosen. Mit Matthias Mey bin ich so lose befreundet. Wir haben mal zusammen einen Clubhouse-Talk gemacht. Er hatte mich wegen meines Buches eingeladen und darüber haben wir uns kennengelernt. Über den Talk habe ich erst erfahren, wie bei Mey gedacht und gearbeitet wird und finde das toll.

3. Die Hose

Ich habe noch ein paar FIRMA-Sachen im Schrank. Nach fünf Jahren natürlich nicht mehr so viele. Vor allem bei den Hosen habe ich jetzt schon Angst davor, dass sie eines Tages − auch weil ich sie in heavy rotation trage − im wahrsten Sinne des Wortes in die Knie gehen. Weil es ja keine Option mehr gibt, sie nachzukaufen, weil es sie nicht mehr gibt.
Daher habe ich schon mal angefangen, mich umzugucken und zu überlegen, was ein Ersatz dafür sein könnte. Was ihnen am nächsten käme, sind Hosen von einem Londoner Label namens Scott Fraser Collection. Das ist so ein Typ, der ist total obsessed mit Hosenschnitten. Der hat ein super kleines Sortiment, was ich gut finde, und macht Maßkonfektion.
Scott Fraser Maßkonfektion High Waist Pants Modepilot
Hose von Scott Fraser Collection, über Scott Fraser Collection >>>

4. Der Anzug

Ich bin ja selbst Maßschneidermeister. Insofern brauche ich immer einen richtig perfekten Anzug im Schrank, der eben auch so handwerklich gefertigt ist. Und selbst wenn ich den durch die veränderten Dresscodes nach dem Lockdown vielleicht nie wieder tragen werde, weil man kaum noch Anzüge braucht. Aber da bin ich Sammler. Selbst wenn ich nur von Zeit zu Zeit dahingehe und ihn streichele und ihn gar nicht anziehe. Mir bedeutet das was, so ein Anzug mit handumstochenen Knopflöchern, lose verarbeiteter Einlage, handgenähtem Armloch, usw. Der schönste Anzug, den ich im Moment habe, ist ein Tom Ford-Anzug. Den würde ich mir wieder kaufen.
Carl Tillessen in seinem Tom Ford Anzug Modepilot
Carl Tillessen bei einem Vortrag in seinem Tom Ford Anzug
Gründe, so einen Anzug anzuziehen, suche ich mir. Vielleicht ist das eine Generationenfrage. Aber mir verleiht so ein Sakko oder so ein Anzug eine gewisse Sicherheit. Je größer das Publikum, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ich im letzten Moment zu so etwas greife. Wenn ich weiß, dass ich einen Vortrag halten muss, und da sitzen vielleicht 600 Leute, dann beruhigt mich das.

5. Das T-Shirt

Das ist wirklich so ein verrückter Professor: Stefan Brandt ist Physiker und promovierter Materialwissenschaftler. Und so geht er an die Sache auch ran und er hat sich also nichts Geringeres vorgenommen als das perfekte T-Shirt zu machen. Und das ist ihm auch gelungen, muss ich sagen. Handgepflückte, peruanische Pima-Baumwolle, auch als die Seide Südamerikas bezeichnet, muss es für ihn sein. Denn, wenn zu schnell gepflückt wird, könnte das Harz in die Fasern geraten, und das wäre ganz unerträglich, haha.
Es ist zwar nur ein Basic. Aber es ist eben auch noch nach der hundertsten Wäsche, selbst bei dem sehr harten Wasser, das wir hier in Berlin haben, immer noch total weich und schön. Andere T-Shirts werden hier schnell so holzig im Griff, aber dieses bleibt geschmeidig. Und wegen einer ausgeklügelten, dreistündigen Prefit-Behandlung mit Wasser und Dampf wird das T-Shirt stabilisiert, damit es auf gar keinen Fall ausleiert oder die Nähte sich verdrehen. Ich hab es in allen Farben.
Stefan Brandt T-Shirt Modepilot
Das perfekte T-Shirt aus Ur-Pima mit Prefit-Behandlung von Stefan Brandt

6. Das Schreibgerät

Da habe ich diesen Caran d'Ache 'Ecridor Chevron'. Ich ärgere mich da über mich selbst, weil ich auf gar keinen Fall abergläubisch sein möchte, und ich es hasse, wenn man abergläubisch ist. Aber bei Stiften bin ich es. Es fühlt sich für mich einfach falsch an, wenn ich einen wichtigen Vertrag − einen Miet- oder einen Gesellschaftsgründungsvertrag − mit einem miesen Werbekugelschreiber unterschreibe. Für Notizen oder Einkaufslisten ist das ok, aber wichtige Dinge sollte man damit nicht unterschreiben. Und dann ist es auch so, dass ich schon lange vor Corona hygienische Bedenken gegen das Weiterreichen von Kugelschreibern hatte. Insofern habe ich gerne einen eigenen Kugelschreiber dabei.
Tatsächlich habe ich viel ausprobiert. Montblanc macht vielleicht die besten Füllfederhalter, aber Caran d'Ache macht die besten Kugelschreiber, die leichtläufigsten Minen. Und wenn ich so gucke, wer mit so einem Montblanc-Meisterstück herumfuchtelt, dann möchte man ganz einfach auch nicht dieser Typ sein.
Wer mit so einem Füllfederhalter unterschreibt, der sagt ja auch gleichzeitig, dass früher alles besser war.

7. Das Produkt für die Haare

Ein  echter Mann kann seine Haarstyling-Produkte nicht im Drogeriemarkt kaufen. Ich komme jedenfalls nur mit Pomade klar. Die gibt es nicht im Drogeriemarkt. Im Drogeriemarkt gibt es nur Stylingprodukte, mit denen die Haare hart werden und die später am Tag herausbröseln. Mit einer Pomade bleiben die Haare den ganzen Tag geschmeidig. Aber sie lässt sich auch schwierig auswaschen. Dafür braucht man bei Wind und Wetter keine Sorge haben, weil man die Haare auch mal nach links oder rechts streichen kann. Oder der Partner einem durch die Haare fahren kann, ohne die Frisur gleich zu ruinieren.
Meine Pomade gibt es bei Ethno-Friseuren, bzw. Barber Shops. Da riechen die meisten nach Kokosnuss, meine riecht nach Ananas (>>>). Man könnte sich damit auch eine Pina Colada mischen.

8. Die Schuhe

Es gibt ja auf der ganzen Welt nur zwei Premiata-Boutiquen: Eine ist in Mailand und eine in Berlin. Auch da habe ich es sehr gerne, dass es ein hochwertiger, luxuriöser Schuh ist, ohne vordergründig ein Statussymbol zu sein. Die meisten kennen vielleicht nur die Zweitlinie, die Sneaker-Linie, die ziemlich breit vertrieben wird. Die Hauptlinie hat wunderschöne Lederschuhe mit einer fantastischen Qualität. Sie sind langlebig, haben kein von außen sichtbares Markenlogo und sind gleichzeitig so bequem − auch jene mit Ledersohle −, dass man sie vom ersten Tag an den ganzen Tag lang barfuß tragen könnte.
Wenn man da ein bisschen tiefer einsteigt und beobachtet, dann ist diese Schuhbranche widerlich. Weil es so wenig Kreativität gibt und wahnsinnig viel kopiert wird. Das ist noch schlimmer als bei Kleidung. Wenn da einer eine gute Idee hat, dann wird die von allen übernommen. Und, wenn man das ein bisschen verfolgt , dann stellt man eben fest, dass sehr viele Ideen, die so im Umlauf sind, auf Premiata zurückgehen. Der 'Oxford without laces' z.B.,  ein Oxfordschuh, den man auch ohne Schnürsenkel tragen kann, weil er so ein Gummi hat, wurde später auch von Jil Sander und vielen anderen gemacht. Das ist deren Klassiker.

9. Der Schlüsselring

Ich mag es bei Männern, wenn es ein paar Konstanten gibt, auch wenn das jetzt ein altes Rollenbild verrät. Ich finde es merkwürdig, wenn Männer jeden Tag ein anderes Parfum tragen. Und eine absolute Konstante, seit Jahrzehnten mittlerweile schon, ist so ein handgeschmiedeter Schlüsselring mit so einer Martelé-Oberfläche (= gehämmert, Anm. d. Red.) von Werkstatt München. Klaus Lohmeyer hat gleichzeitig gegründet wie wir mit Firma damals. Wir haben uns früh kennengelernt, zusammen gearbeitet und sind gemeinsame Wege gegangen. Er hat ja 25. Jubiläum und fast so lange habe ich diesen Schlüsselring. Und, wenn der mal weg wäre, dann würde ich ihn genau so wieder haben wollen. Und das ist ja auch das Schöne, dass es ihn noch so gibt.
Schlüsselring Werkstatt München Modepilot
Handgeschmiedeter Schlüsselring von Werkstatt München aus 925er Sterling-Silber

10. Etwas von Demna Gvasalia (Balenciaga)

Weil ich so ein Demna Gvasalia Fanboy bin. Ich finde alles, was er macht, so wahnsinnig interessant, wegweisend und intelligent. Ich finde es auch tiefgründig. Aber ich kann nichts von dem tragen. Dieser späte Achtziger-, frühe Neunziger-bad-taste-look... Da fragen sich die Leute doch bei mir: Trägt er das noch oder trägt er das wieder?
Ich finde das aber trotzdem alles ganz toll. Und diese Balenciaga Brille (>>>) ist nunmal das Einzige, was ich von ihm tragen kann. Wenn die weg wäre, würde ich sie mir wieder kaufen, oder eine andere von ihm. Vielleicht würde ich auch ein paar Socken finden.

11. Die Reisetasche

Als ich nach FIRMA wieder anfing Geld zu verdienen, war es mir total wichtig, sofort schickes Reisegepäck zu kaufen. Bei FIRMA hatten wir ja unsere eigenen Taschen. Und da habe ich sehr kostspielige Experimente gemacht. Als Erstes habe ich mir einen Samsonite-Koffer gekauft. Und ich weiß noch, dass ich in Paris Charles-de-Gaulle an diesem Kofferband stand und, dass da so eine Unterhose kam und dann Socken und ich mir dachte: die arme Sau... Und dann sah ich genauer hin und, dass das meine Unterwäsche ist. Dann habe ich mir einen Rimowa gekauft, so einen alten aus Alu, der nach zwei Flügen wie eine alte Blechdose aussah und nicht mehr zuging. Und dann habe ich mir noch so einen Rimowa aus Fiebermaterial gekauft, den die Fluggesellschaft auch sofort geschrottet hat. Da ist dann so eine Ecke abgebrochen. Dann habe ich mir für unfassbar viel Geld einen Porsche-Koffer gekauft. Der war schon nach der ersten Bordsteinkante kaputt, das Nylon unten zerfetzt. Und all diese Koffer innerhalb eines Jahres!
Ortlieb duffle Reisetasche robust Modepilot
Reise-Trolley 'Duffle RS' mit einem wasserdicht integriertem Rollensystem von Ortlieb, über Ortlieb
Dann hat es mir gereicht. Ich bin dann in einen Outdoor-Laden gegangen und habe mir von Ortlieb so einen Heavy-Duty-Trolley gekauft, der schon wie so ein Geländewangen höher liegt, also mehr Abstand zum Boden hat. Und der ist, was ich eigentlich nicht brauche, total wasserdicht. Und der hält und hält und hält, ist schön leicht und robust und man kann ihn über einen Feldweg zu einer Berghütte ziehen. Ich bin total begeistert davon, nie wieder etwas anderes.
Photo Credit: Martin Mai, Hermès, Mey, Alex Natt für Scott Fraser, Stefan Brandt, Werkstatt München, Ortlieb
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

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