Neues vom Beauty Pro: Porentief nachgefragt

Schädliche UV-Filter in Sonnencremes = schädliche Sonnencremes?

Wintersonne. Sommersonne. Schädliche Sonnencremes. Auf dem Gletscher oder am Strand. Die Globalisierung macht es möglich, Sonnenziele sind für uns zu jeder Jahreszeit verfüg- und erreichbar. Dass wir unsere Haut in der Sonne schützen müssen, weiß inzwischen jedes Kind. Doch gerade die Substanzen, die die schädlichen UV-Strahlen abblocken, bzw. absorbieren sollen, sind unter Verdacht geraten, gesundheitsschädlich zu sein. Zumindest einige von ihnen, die gängige Bestandteile in Sonnenschutzprodukten sind. Sie heißen Avobenzon, Oxybenzon, Octocrylen und Ecamsule. Laut der diesjährigen Pilotstudie der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) konnten sie schon einen Tag nach der Anwendung im Blut der Teilnehmer nachgewiesen werden.
Die ersten drei hatten die FDA-Toxizitätsgrenzwerte bereits überschritten, während bei Produkten mit Ecamsule Grenzwerte erreicht wurden. Ingesamt trugen die Probanden eine Lotion, eine Creme oder ein Spray über vier Tage je viermal am Tag mit der empfohlenen Menge von zwei Milligramm pro Quadratzentimeter auf 75 Prozent ihrer Haut auf. Die jeweils entnommenen Blutproben bewiesen, dass die Konzentration täglich zunahm und auch dann erhöht blieb, als das Mittel bereits wieder abgesetzt war. Zwar werden die verdächtigen Substanzen von den Nieren aus dem Blut gefiltert und mit dem Urin wieder ausgeschieden. Doch was sie in der Zwischenzeit im Körper anrichten können, weiß man noch nicht. Beispielsweise könnten sie verschiedene Stoffwechsel-Prozesse stören oder Tumore begünstigen. Das gilt besonders für Filtersubstanzen wie Octocrylene, die möglicherweise hormonell wirksam sind.

Chemisch vs. mineralisch

Bei Sonnenschutzprodukten unterscheidet man zwei Arten von UV-Filter. Chemische Filter werden auch als organisch bezeichnet. Sie wandeln UV-Strahlen auf der Haut in Wärme und ungefährliches Fluoreszenzlicht um. Mineralische Filter heissen auch anorganische oder physikalische UV-Filter. Indem sie eine Barriere auf der Haut bilden, reflektieren sie das Sonnenlicht. Sie bestehen aus Titaniumdioxid oder Zinkoxid (INCI: Titanium Dioxide, Zinc Oxide) und gelten grundsätzlich als verträglicher. Sie zerfallen nicht und lösen keine allergischen Reaktionen aus wie die Bläschen der sogenannten Mallorca-Akne.
Zertifizierte Naturkosmetik darf ausschließlich mineralische Filter enthalten. Aber diese haben auch Nachteile: Sie sind nicht so angenehm auf der Haut wie die chemischen Alternativen. Früher hinterließen sie stets einen weißen Schleier auf der Haut und lassen sich auch schwerer entfernen. Heute sind sie häufig in Form von Nanopartikeln in die Cremes eingearbeitet, sodass dieser „Weißel-Effekt“ ausbleibt. Allerdings muss dann auf der Packung hinter dem Filternamen der Hinweis „nano“ vermerkt sein. Doch auch Nanopartikel stehen unter Verdacht, schädlich zu sein, wenn sie in den Organismus gelangen. Aber dazu kommen wir noch. Übrigens reicht in der Regel keine Substanz allein aus, um das gesamte Spektrum der UV-Strahlung abzudecken.
Für einen möglichst umfassenden Schutz sind deshalb in den meisten Sonnenprodukten verschiedene Filter kombiniert. Sogenannte Breitbandfilter erstrecken sich auf UV-B- und UV-A-Strahlung. Laut dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sind derzeit in der EU 27 UV-Filter zugelassen, um in Sonnenschutzmitteln mindestens einen Lichtschutzfaktor von 6 zu erreichen.

Hormonähnliche Wirkung

Zurück zur Problematik der organischen Filter. Wissenschaftler diskutieren vor allem die Frage, ob sie den Hormonhaushalt durcheinander bringen können. Der Focus liegt dabei auf einer östrogenartigen Aktivität ähnlich der Funktion, die dem weiblichen Sexualhormon Östradiol zukommt, das vor allem in den Eierstöcken gebildet wird. Zur Erforschung werden in Zellkulturen Zelltypen, die Rezeptoren für bestimmte Hormone besitzen, mit UV-Filtern zusammengebracht. Werden die Zellen von der Testsubstanz so stimuliert, dass sie sich schneller teilen, ist das ein Zeichen für eine hormonähnliche Wirkung. Doch was in der Petri-Schale funktioniert, reicht allein nicht als Beweis dafür aus, dass im menschlichen Körper dasselbe passiert. Denn längst kommt nicht alles, was man auf die Haut aufträgt im Organismus an. An Schweine- oder Menschenhaut hat man ermittelt, welcher Anteil die Hautbarriere durchdringt. Bei vielen organischen Filtern liegt dieser bei unter einem Prozent.
Inhaltsstoffe von Kosmetika in Tierversuchen zu testen, ist in der Europäischen Union zwar seit 2013 vollständig verboten.
Da aber die meisten Filtersubstanzen bereits vorher zugelassen wurden, hat man ihre Sicherheit häufig noch an Tieren geprüft. Eine Untersuchung an der Universität Zürich im Jahr 2001 ergab, dass bei Ratten, deren Nahrung mit drei verschiedenen Filterstoffen versetzt war, die Gebärmutter wuchs. Doch auch diese Ergebnisse können nicht direkt auf den Menschen übertragen werden. Ob ein Stoff mit der Nahrung aufgenommen oder auf die Haut appliziert wird, ergibt völlig unterschiedliche Konzentrationen im Körper.

Sonnenschutz wo nötig

Das neueste Studienergebnis der FDA verwirrt und erschreckt erstmal. Doch so einfach auf die Realität anwenden lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse auch nicht. Wer cremt sich schon täglich mit dieser Produktmenge und Häufigkeit ein? Außerdem wurden im Labor keine Faktoren wie Feuchtigkeit, Sonnenlicht und Hitze berücksichtigt, die die Absorption der Inhaltsstoffe positiv oder negativ verändern können. Und ist SPF 50 in Punkto schädliche Filter gefährlicher als SPF 30? Denn: je höher der Lichtschutz, desto höher natürlich auch die Menge an Filtersubstanzen. Dazu sagt der Münchner Dermatologe Dr. Stefan Duve: „Man muss die Vor- und die Nachteile abwägen. Ob man einen Tag mal eine bestimmte Chemikalie erhöht im Blut hat, oder ob man das Hautkrebsrisiko fördert, indem man sich ohne Schutz in die Sonne legt.“ Klarer Vorteil für den Sonnenschutz. Zur Sicherheit sollte man seine Haut aber nur dann mit Filtern belasten, wenn es unbedingt nötig ist.
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Schädliche Sonnencremes: Wenn neueste Erkenntnisse zum Schutz unserer Haut vor Sonne erst einmal verwirrend sind
Von der täglichen Anwendung einer Tagescreme mit UV-Filter hält der Hautarzt nichts. Abstand nehmen sollte man auch davon, die vom Sommerurlaub übrig gebliebene teure Sonnenschutzcreme mit Anti-Aging-Effekt im Alltag der sonnenarmen Monate aufzubrauchen. Auch nachts hat ein Pflegeprodukt mit SPF schon gar nichts auf der Haut zu suchen. Dr. Duve: „Am Strand, am Golfplatz, beim Skifahren ist Sonnencreme erforderlich, aber nicht, wenn man drei Minuten auf die Strasse geht oder auf dem Weg zum Kindergarten.“ Kinder sollten in den ersten zwei Lebensjahren überhaupt nicht in die direkte Sonne. „So lange unklar ist, wie schädlich UV-Filter wirklich sind, ist Sonnenschutz-Kleidung empfehlenswert, was in vielen Ländern bereits üblich ist“, so der Experte.

Entwarnung für Nanopartikel?

Prof. Dr. Christian Surber, Pharmakologe an den Dermatologischen Universitätskliniken Basel und Zürich empfiehlt für Schwangere, stillende Müttern und ihre Kinder vorsichtshalber nur mineralische Filter. Gerade Kinder, die im Verhältnis zur Körpermasse eine große Hautoberfläche besitzen, würden bezogen auf ihr Gewicht eine erhöhte Menge an organischen Filtersubstanzen aufnehmen. Den mineralischen Filtern hält Surber auch zugute, dass „Zinkoxid und Titandioxid nicht durch die Haut gehen“. Das gilt vor allem für die klassische „mikronisierte“ Form mit dem ungeliebten „Weißel-Effekt“. Er bestätigt aber auch, dass sie selbst dann nicht in die Haut eindringen, wenn sie als Nanopartikel in Sonnencremes eingearbeitet sind.
Surber: „Trotz ihrer Nano-Bezeichnung sind die Moleküle der mineralischen Filter um den Faktor zehn bis hundert größer als diejenigen modernerer organischer Filterstoffe.“ Damit können sie nicht zwischen den Ritzen der Hautzellen in tiefere Schichten vordringen. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung stuft das Auftragen von Nanopartikeln auf eine intakte sowie Sonnenbrand-geschädigte Haut als unbedenklich ein. Abgeraten wird von Sprays mit Nanopartikeln. Noch steht nicht fest, was passiert, wenn die winzigen Teilchen in die Atemwege gelangen. Auch Prof. Surber hält wenig von UV-Sprays: „Einerseits tragen die meisten Menschen Studien zufolge dadurch zu wenig von der Lösung auf. Andererseits geht ein Großteil des Schutzmittels beim Sprühen ohnehin an die Umwelt verloren.“
Photo Credit: Catwalkpictures
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Kommentare

  • katha sagt:

    Spannend, ich habe viel gelernt in diesem Artikel. Und war so stolz, dass ich endlich ein MakeUp mit LSF50 habe 😀
    • Margit Rüdiger sagt:

      Danke, Katha, für dein Feedback. Freut uns sehr, dass du aus dem Artikel etwas für dich mitgenommen hast. Mit LSF 50 bist du in der Tat vorbildlich! Liebe Grüße, Margit