Neues vom Beauty Pro: Frauenfeinde
Leben und leben lassen
Aber genau das ist es, was unsere Gesellschaft einfach nicht hinkriegt. Speziell dann, wenn es um das Aussehen von Frauen geht. Toleranz und Respekt vor dem anderen wäre die − ach so einfache − Zauberformel. Aber genau daran hapert es. Und meist sind es Frauen, die über Frauen lästern.
Sie hat zu viele Falten oder zu wenige Falten für ihr Altern. Bei Zweiterem heißt es dann sofort „Da wurde doch was gemacht“. Warum auch nicht. Ist doch piepegal, wenn es der Person gefällt und sie sich in ihrer „neuen“ Haut wohler fühlt. Aber diese Akzeptanz fehlt häufig, vor allem in den Social Media-Kanälen, wo man sich so schön verstecken kann hinter Pseudonymen und Kunstnamen. Welche Schmähungen musste Madonna bei den diesjährigen Grammys über sich ergehen lassen! Da war es weniger interessant, dass sie selbst während ihrer vier Jahrzehnte dauernden Karriere sieben dieser begehrten Auszeichnungen gewonnen hatte oder dass sie einen Auftritt des nicht-binären Musikers Sam Smith und der Transgender-Sängerin Kim Petras auf der Veranstaltung vorstellte.
Spekuliert wurde vor allem über Madonnas Gesicht und welchen Schönheitsoperationen sie sich wohl wieder unterzogen hat − Dabei hat die 64-Jährige nie überhaupt nur einen Eingriff bestätigt, was ihr wiederum die Kritik als „Heuchlerin“ einbrachte. Nach dem Grammy wurde sie in den Medien als „Schande“ bezeichnet und jemand „der Hilfe braucht“. So übel, dass es sogar eine Reihe prominenter Frauenorganisationen auf den Plan rief, die Madonnas Recht verteidigten, dass sie mit ihrem Körper machen könne, was sie wolle.
25 Millionen Schönheitsoperationen
Dabei ist die global berühmte Sängerin kein Einzelfall, wenn man sich die internationalen Fallzahlen an Schönheitsoperationen anschaut. Weltweit ist die Anzahl chirurgischer Eingriffe auf fast 25 Millionen jährlich gestiegen, wie die International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS) für das Jahr 2019 vermeldete. Neun Jahre zuvor waren es nur knapp 14 Millionen Schönheitsoperationen pro Jahr. Auch ist es nicht mehr wie früher, als man allenfalls mit der besten Freundin darüber sprach. Heute spricht man ganz offen. Keine(r) muss mehr so tun, als sei das glatte Gesicht oder die üppige Schnute ein Geschenk von Mutter Natur. Glaubt eh keiner.
Wenn nachgeholfen wurde, bleibt das in der Regel einem aufmerksamen Beobachter nicht verborgen. Aber andererseits sollte auch keiner dazu gezwungen sein, offen darüber zu reden, wenn er das nicht möchte. Wenn man es genau betrachtet, sind doch genau die Personen die Heuchler, die Madonna eine Heuchlerin schimpfen.
Sind wir doch ehrlich. Wird nicht von uns allen erwartet, „das Beste“ aus uns zu machen und uns nicht gehen zu lassen? Dabei kann man es offensichtlich den anderen nie Recht machen. Unternimmt man nichts, um jünger auszusehen, wird das als Kapitulation vor dem Alter gewertet. Das Gegenteil ist offensichtlich ein noch größeres Verbrechen, wie man an vielen Beispielen vor Augen geführt bekommt.
„veroperiertes“ Gesicht
Beispiel Schauspielerin Demi Moore: Als sie bei der Pariser Fashion Week die Show von Fendi eröffnete, wurde ihr angeblich „veroperiertes“ Gesicht allseits bemängelt. Gerade in solchen Fällen, kommt oft der blöde Spruch über viele Lippen von wegen „in Würde altern“. Wie ich den hasse! Frauen über 50 und älter sollten am besten unsichtbar sein. Und wenn sie es nicht sind, müssen sie schon so laut sein wie die britische Journalistin und Modekritikerin Suzy Menkes oder die US-Mode-Ikone Iris Apfel, die dann auch gerne gleich wieder als schrill bezeichnet wird.
Sarah Jessica Parker hat es in einem Interview mit der US-Vogue auf den Punkt gebracht, was die Kritik über ihr Aussehen angeht. Sie sagte: „Es fühlt sich fast so an, als ob die Leute nicht wollen, dass wir mit dem, was wir sind, vollkommen in Ordnung sind. Es ist, als ob sie es fast genießen, dass wir mit dem, was wir heute sind, gequält werden, egal, ob wir uns dafür entscheiden, natürlich zu altern und nicht perfekt auszusehen, oder ob man etwas tut, wenn man sich dadurch besser fühlt.“
Verletzende Bodyshaming-Kommentare
Aber nicht nur Gesichter stehen im allgemeinen Fokus der Kritik. Fast noch schlimmer ist es bei der Figur. Da sind vor allem jüngere Frauen die Zielscheibe. Beispiel Adele. Erst kürzlich bei den Grammys wurde wieder der enorme Gewichtsverlust der Sängerin thematisiert. Da erschien es fast nebensächlich, dass die stimmgewaltige Britin sieben Mal ausgezeichnet worden war. Interessanter war für die Medien: Was ist ihr Geheimnis, mit dem sie 50 Kilo abgenommen hat? Ist sie inzwischen gar noch mehr Pfunde losgeworden? Welche Diät hat sie gemacht?
Ganz Unverschämte posteten online, sie könne doch ihrer Sitznachbarin, der US-Rapperin Lizzo, gleich ein paar Abnehm-Tipps geben. Auch US-Schauspielerin Selena Gomez kennt sich aus mit verletzenden Bodyshaming-Kommentaren. Als sie im diesjährigen Neujahrsurlaub in Mexiko im Bikini fotografiert wurde, musste sie viel Häme lesen. Sie wurde als „dick“ oder „pummelig“ bezeichnet und bekam den Rat „Gewicht zu verlieren“.
Unser Körper ist kein Fashion-Item
Als die New York Post letztes Jahr auf ihrem Twitter-Account verkündete, „the heroin chic is back“, da hat es mich echt gegruselt. Erstens, dass ein ansonsten ernstzunehmendes Presseorgan sich überhaupt auf ein solches Niveau begibt, auch wenn es in dem Post um die offensichtliche Verschlankung der Kardashian-Schwestern Kim und Kloé ging unter dem Motto „curvy ist out, dünn ist wieder in“. Zweitens, dass überhaupt die Figur von Frauen, berühmt oder nicht, ständig kommentiert wird.
Eine Körperform ist doch kein Fashion-Item wie eine It-Bag, die man ausmustert, wenn sie aus der Mode gekommen ist und ganz schnell durch etwas Trendigeres ersetzt. Und außerdem kann kein Curvy-Body mit großem Hinterteil, üppigem Busen und schmaler Taille innerhalb einer Saison zu superschlank mutieren, ohne dass nachgeholfen wurde. Es hieß, dass bei Kim Kardashian die Minimierung ihrer Maße durch Entfernen der Brustimplantate und ihres Kunst-Pos, Brazilian Butts genannt, erfolgt sei. Darüber hinaus soll sie ein verschreibungspflichtiges Diabetes-Medikament geschluckt haben, das auf TikTok als DER Schlankmacher gepriesen wird. Alles dummdreiste Spekulationen.
Bodyshaming unter uns Frauen
Solch hämische Body-Kommentare betreffen meist Frauen, egal ob es sich um Prominenz handelt oder unter uns Normalos stattfindet. Ich kann mich nicht erinnern, dass bei männlichen Promis auf dem roten Teppich jemals die Körpermaße thematisiert wurden oder von dem Typen Abnehm-Tipps erfragt wurden. Aber auch im normalen Leben begrüßen wir wohl kaum Männer mit dem Satz „Mensch, bist du dünn geworden, wie hast du das gemacht?“. Der Mann wiederum, wenn er nur etwas Benehmen gelernt hat, wird nie zu einer Frau sagen: „Du bist zu dick/zu dünn“. Bei Frauen untereinander ist eine Bemerkung zur Figur der anderen gang und gäbe. Auch wenn diese vermeintlich nett gemeint ist, wie „siehst gut aus“ und gleich wird hinterher geschoben „Hast du abgenommen?“ Die wahre Botschaft dahinter lautet doch: Vorher sahst du nicht gut aus, weil du zu dick warst. Zumindest fasst das Gegenüber es so auf.
Die Body-Positivity-Message hat uns offensichtlich noch nicht erreicht. Was gibt uns das Recht, die Figur bzw. das Gewicht von anderen zu kommentieren. Fühlen wir selbst uns schöner, schlanker, attraktiver, wenn wir derartige Kommentare über Geschlechtsgenossinnen hören oder lesen? Wenn wir im Vergleich besser abschneiden? Dabei wäre es doch erstrebenswert, sich im eigenen Körper wohl zu fühlen, ohne andere herabsetzen zu müssen. Selbstliebe ist das Stichwort.
Bei uns selbst anfangen
Wir haben zwar gelernt, dass wir anderen keine Ohrfeige verpassen dürfen, aber verbale Verletzungen erlauben wir uns − oft ohne vorher richtig darüber nachgedacht zu haben. Dabei können wir nicht wissen, was solch unbedachte Worte in der anderen Person auslösen. Im schlimmsten Fall können sie ein gestörtes Verhalten zum Essen oder gar Selbsthass triggern. Deshalb sollte man es grundsätzlich unterlassen, den Körper/das Gesicht anderer zu kommentieren. Statt sich um Äußerlichkeiten zu kümmern, sollte uns vielmehr interessieren, wie es bei dem anderen Menschen in seinem Inneren aussieht, wie es ihm geht, wie er sich fühlt. Ein liebevollerer Umgang mit anderen hilft uns, auch liebevoller zu uns selbst zu sein.
Mehr von unserer Autorin Margit Rüdiger finden Sie hier unter ihren bisherigen Kolumnen >>> und mehr über Beauty und Reisen auch auf ihrem Blog Culture & Cream (>>>). Fragen, Wünsche, Feedback? Sie erreichen unsere Kolumnistin unter beautypro[@]modepilot.de
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Kommentare
Ich selbst bin von Haus aus eher dünn und mich nervt es ebenfalls, wenn Leute immer wieder ansprechen, wie dünn ich sei. Auch, wenn das meistens positiv konnotiert wird. Wieso meinen die Menschen, dauernd meine Figur bewerten zu müssen.
Ganz abwegig fand ich es, als ich schwanger wurde. Da wurde ich plötzlich gelobt dafür, dass ich ja gar nicht schwanger aussähe. Die Leute meinten, es sei ok, dass man meinen Bauch im Profil sah. Aber es war offenbar wichtig, dass ich von hinten und im Gesicht nichts schwanger aussah. Und hinterher war es offenbar toll, dass ich bald aussah, als sei ich „nie schwanger gewesen“. Was sagt es über eine Gesellschaft, wenn es für wünschenswert befunden wird, dass eine Schwangerschaft möglichst unsichtbar abläuft? Ich finde das abstoßend und unangenehm.