Der unglaubliche Erfolg von Sol de Janeiro
Was steckt hinter dem enormen und enorm schnellen Erfolg von Sol de Janeiro? Vor zwei Jahren kaufte die L'Occitane Gruppe 83 Prozent bei einer Unternehmensbewertung von 450 Millionen Dollar. Heute macht Sol de Janeiro schon den zweithöchsten Umsatz bei der französischen Gruppe aus mit 267 Millionen Euro. Und das obwohl Sol, wie die Marke intern kurz genannt wird, erst acht Jahre alt ist.
In Brasilien ist man so schön, wie man sich fühlt.
Sol de Janeiro verkauft ein gutes Gefühl, wie im Prinzip jede andere Kosmetikmarke auch. Aber während herkömmliche Kosmetikmarken eher das „Damit werde ich perfekt“-Gefühl verkaufen, verkauft Sol das „Ich werde geliebt für das, was ich bin“-Gefühl. Das Starprodukt, die „Bum Bum Cream“, wird von den Kundinnen wieder und wieder gekauft (weltweit wird alle acht Sekunden eine gekauft). Und das nicht, weil sie einen knackigen Po zaubert, sondern weil sie den ganzen Körper warm küsst. Sie duftet behaglich nach Sonne & Liebe. Olfaktorisch ist das, grob gesagt, mit Pistazie und Vanille gelungen. Und ist rundlich und sonnengelb verpackt, wie eine Sonnencreme, aber ohne eine zu sein.
Bum Bum in der Kosmetikindustrie
Heela Yang Tsuzuki, Harvard-Absolventin und von Lancôme und Clinique (drei Jahre als Marketingdirektorin) kommend, lancierte 2015 mit zwei Visionenverwandten Sol de Janeiro. Übersetzt bedeutet der Name so viel wie Januarsonne, womit die wärmste Zeit in Brasilien gemeint ist.
Der Name ist gut. Die schnelle Wiedererkennung funktioniert weltweit durch die bekannte Küstenmetropole Rio de Janeiro. Und 'Sol' versteht auch jedes Kind. Als meine 12-jährige Bonustochter nach der Schule müde nach Hause kommt, und ich sie mit dem türkisfarbenen Päckchen von Douglas überrasche, flippt sie aus.
Drei Tage lang klapperte sie zuvor eine Parfümerie nach der anderen ab, um das vergriffene „Body Mist“ zu ergattern. Auf TikTok geht es viral, auf Teenager-Geburtstage duften alle danach. Ich halte es zunächst für einen Marketing-Gag. Doch als sie sich mit der gelben Flasche einnebelt, geht auch bei mir die Sonne im grauen Wohnzimmer auf. Draußen ist es kalt, die Kletterpflanzen peitschen, zusammen mit dem Regen, ans Fenster. Doch plötzlich strömt eine goldene Wärme durch den Raum. Als würde jemand die Türe zu einer Backstube öffnen, in der gerade frisch gebackene Kekse dampfen. Der Teenager-Trend versüßt mir seither jeden November-Morgen.
Das Erfolgsrezept von Sol de Janeiro: erste Zutaten
1. Name & Mission: ein gutes Gefühl. „Sol de Janeiro“, den Namen gab es bereits. Er gehörte zu einer Sonnencreme-Marke, die Anfang der 2010er Jahre vom Markt verschwunden war. Yang und ihre Mitgründer*innen schlagen bei den Markenrechten zu.
Ihre Mission: Das gute Gefühl, das Brasilianerinnen mit ihrem Körper haben, in Tiegel zu füllen. Yang, geboren in Korea und aufgewachsen in den USA, erfährt die brasilianische Liebe zum eigenen Körper durch ihren Ehemann. Dieser führt in São Paulo ein großes Familienunternehmen. So zieht Yang, nachdem sich die beiden in New York kennenlernten, nach Südamerika, und erfährt dann, dass sie schwanger ist. Bald fühlt sie sich unwohl in ihrem Körper. Aber am Strand erlebt sie, dass sich hier keiner um irgendwelche Extrakilos schert. Ihr Mann empfiehlt ihr, wie alle anderen ebenfalls kleine Bikinis zu tragen und auf jede Rundung stolz zu sein. Es funktioniert. Sie fragt sich, warum die Kosmetikindustrie anstatt übertriebener Schönheitsideale nicht genau dieses Lebensgefühl vermittelt. Yang möchte das ändern (Behind Her Empire >>>). Die Mission steht, das Produkt muss noch gefunden werden.
Mitgründerin Camila Pierotti denkt genau so. Sie ist Brasilianerin und ebenfalls Kosmetik-Marketingexpertin (NARS & Clinique). 2021 sagte sie in einem Interview mit InStyle: „Als ich von Brasilien in die USA kam, war das der erste Schritt Richtung Sol-Markengründung (...) Ich trug meinen Micro-Bikini und fühlte mich wohler in meiner Haut als manche meiner amerikanischen Freundinnen, die größer, schlanker und blonder waren.“
Erfolgsrezept von Sol de Janeiro: weitere Zutaten
2. Ein „rundes“ Produkt & Mut. Gemeinsam mit Kreativdirektor Marc Capra entwickeln die beiden Marketingexpertinnen die Bum Bum Cream, rund, überdimensional (dicker Deckel) und lebensfroh (Sonnengelb). Hingegen aller Kritik − Gelb assoziiere man mit Sonnencremes und könne man nur im Sommer verkaufen − vertreiben die Drei ihre ersten Produkte in ihrer „happy color“.
3. Seeding. Von Anfang an, mit dem ersten Websitelaunch im April 2015, wird eine PR-Agentur angeheuert, die Produkte an Influencer verteilen soll, um ein erstes Feedback einzuholen. Bis heute werden im großen Maß Monat für Monat Gratisprodukte an Influencer verschickt. Und diese posten meist, ohne dafür extra bezahlt zu werden, darunter auch Hailey Bieber.
4. Starke Partner. Im September 2015, nur fünf Monate nach Markenlancierung, wenden sich die Gründer an Sephora in den USA und bekommen noch am selben Tage einen Vertrag zugeschickt. Auch später verbünden sie sich jeweils mit den stärksten Vertriebskanälen eines Landes: Douglas in Deutschland (seit 2017) und den Niederlanden, Sephora in Frankreich, Mecca in Australien, usw.
Dran bleiben
5. Der DNA treu bleiben. Die Mission ist und bleibt es, ein gutes, nicht verurteilendes Körpergefühl zu vermitteln. Schwierige Entscheidungen werden auf die Ursprungsidee hin geprüft und getroffen. Das bedeutet auch, Verpackungen den Möglichkeiten und Erwartungen anzupassen. So gibt es für die meisten Sol-Produkte heute auch Refills.
6. Community Building. Wie beim viral gegangenen Lipgloss 'Juicy Bomb' von Essence auch (>>>), ist eine von Sols Paradedisziplinen: die Community-Pflege. Das heißt, dass jede oder jeder, der auf seinem Social Media-Account ein Sol-Produkt postet, Feedback innerhalb von zwei Stunden bekommt, z.B. ein Herzchen/Like. Aktuell liegen die Follower-Zahlen bei 1,2 Millionen auf Instagram und 1,1 Millionen auf TikTok.
Es steht und fällt mit einem guten Produkt
Und natürlich steht und fällt alles mit einem guten Produkt. Kein Produkt geht viral, wenn es nicht gut ist. Bei Sol de Janeiro ist jedes Produkt liebevoll wie professionell durchdacht. So duftet beispielsweise die „Bum Bum Cream“ nach „Cheirosa '62“. Die süße Kombination aus Pistazie, Salted Caramell und Vanille gibt es mittlerweile auch als Parfum, Deodorant, Körperöl, -duft, -peeling, Duschgel und Haarpflege.
Jedes Produkt gehört zu einer Duftfamilie mit einem Namen bestehend aus „Cheirosa“ und einer Zahl. „Cheirosa“ bedeutet „duftend“. In Brasilien macht man sich gegenseitig gern das Kompliment „Du duftest“ − ungefähr so oft, wie Italiener Kinder schön finden oder Deutsche sich über das Wetter beschweren. Die Zahl steht jeweils für eine Jahreszahl, mit der typisch brasilianische Erinnerungen wach werden. Ein Auszug:
Glück & Timing
Den Begriff „Body Positivity“ kannten wir noch gar nicht, als Sol diese Einstellung in Tuben und Kampagnen einfließen ließ. Dass Dellen zu einem schönen Körper genau so dazu gehören wie Röllchen, Streifen und Flecken, war der Gegenentwurf zu dem, was die Kosmetikindustrie uns bislang verkaufte. Und es funktionierte. Yang und ihre Mitstreiter*innen haben den richtigen Zeitpunkt getroffen, dabei an sich und ihre Mission unermüdlich geglaubt, investiert, hart gearbeitet, und letztendlich auch Glück gehabt.
News
Ab Januar 2024 wird es eine neue Duft-Serie mit allerlei dazugehörigen Produkten geben.
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Photo Credit: Sol de Janeiro
Kommentare
Ich LIEBE den Duft der Bum Bum Cream😍
An dem Body Mist muss ich beim nächsten Parfümerie Besuch unbedingt schnuppern!