Kunstgestopftes: das neue Chanel-Logo?
Ausgezeichnetes Handwerk war einst, was Luxusmarken groß machte. Doch davon weiß das heutige Klientel nicht mehr viel. Wie denn auch, wenn neue Balenciaga-Schuhe vom erschwinglichen Rest nicht mehr zu unterscheiden sind − weder qualitativ, noch optisch Und so kaufen wir erst fern von einst handwerklichen Kompetenzen ein, also den Sneaker bei Valentino und das Satinkleid bei Zara, und schließlich nur noch billig (>>>). Die Symbolik goldener Initialen entleert sich, langsam, aber verlässlich.
Bei Chanel, mit seinen eingegliederten Handwerksbetrieben, mag das noch anders sein (>>>). Aber im Zuge der globalen Vermassung von Luxus und der damit einhergehenden Verschiebung der Statussymbol-Logik, tritt ein anderes Erkennungszeichen an die Stelle von Designerinitialen. Heute erkennen sich Liebhaber guter Kleidung anhand von kunstvollem Flickwerk.
Wir grenzen uns modisch kaum noch mit Wissen über Designoriginale ab. Originale interessieren in TikTok-Zeiten eh keinen mehr: Heute machen wir alle das Gleiche, z.B. die Farbe Vanille tragen, und morgen machen wir dann alle etwas anderes gleich, z.B. regenbogenfarbene Kuchen backen. Dabei interessiert es in der aus China stammenden App niemanden, wer damit anfing. Nur Zeitungen wie The Guardian machen sich noch die Mühe, den Ursprung eines TikTok-Trends herauszufinden und den Ideengeber mit Namen zu nennen und zu verlinken. Aber ich schweife ab.
In unserer Wegwerfgesellschaft wird nicht repariert. Denn das Reparieren ist teuerer als ein Neukauf. Und genau hier liegt der Nährboden für den neuen Trend: „Visible Mending“. Das zur Schau stellen geflickter Stellen entspringt keiner knausrigen Sparsamkeit, sondern ist eine Geisteshaltung, Mit dieser kreativen Methode bekommen Kleidungsstücke eine neue, einzigartige Ästhetik... und ein längeres Leben geschenkt. Das ist auch ein Geschenk für die Welt, da es Ressourcen schont und Abfall vermeidet.
Wie Visible Mending unsere Kleidung und unseren Stil revolutioniert
Nichts ist so umweltbewusst wie alte Kleidung aufzutragen. Das stellte König Charles schon zur Schau, als er noch Prinz war. Der sich für die Umwelt einsetzende Adelige trägt geflickte Sakkos und das gern für jedermann erkennbar. Hier mit ausgebesserter Sakkofront >>>. Natürlich weiß jeder, dass er das nicht nötig hat. Umso beeindruckender ist es.
In Adelskreisen ist es üblich, in gute Dinge zu investieren und diese zu pflegen. Sei es ein Stück Land oder eben ein Kleidungsstück. Abgewetzte Hemdkragen und mit Laufmaschen durchzogene Strumpfhosen sieht man auf Schlössern oft. Wobei das auch Koketterie sein kann.
Schön ist es, den geliebten alten Kleidungsstücken etwas mehr Zuwendung zu schenken, indem man sie repariert vor weiterem Verschleiß bewahrt. Dabei handelt es sich nicht selten um ein wahres (Kunst-)Handwerk (Die Cashmere-Chirurgin >>>). Das ist so neu wie alt.
Wie wir mit kreativen Reparaturen unsere Kleidung aufwerten
Der Ursprung des sichtbaren Flickens lässt sich bis in alte Traditionen zurückverfolgen. In Japan gibt es beispielsweise die Kunst des Sashiko. Dafür verwendet man kontrastierende Fäden und auffällige Stiche, um Kleidung zu reparieren. Ein aktuelles Beispiel ist der Sacai X Nike-Sneaker von Sneakerdesigner Ant Kai >>>.
Mit Kintsugi, ebenfalls ein traditionelles, japanisches Handwerk, veredelt man zerbrochenes Porzellan, um die Schönheit von nicht Perfektem zu feiern. Die Bruch- und geklebten Stellen werden hervorgehoben und aufgewertet, meist mit Goldpuder. Nichts kann so unverwechselbar schön sein, wie etwas Individualisiertes.
Inspirierendes Kunsthandwerk
Unter #visiblemending finde ich auf Social Media-Kanälen sogar kunstvoll reparierte Strumpfhosen und Sneaker. Weiße Tischdecken bekommen plötzlich ein schier endloses Leben, weil auf jeden Fleck ein kleiner Planet gestickt wird.
Es gibt auch unzählige Fotos von Sofalehnen zu sehen, über deren aufgescheuerte Stellen sich gehäkelte oder gestickte Blumen ranken. Die Accounts heißen @reparierenistliebe oder @having_a_good_fashion_day. Tatsächlich hat das Stöbern unter diesem Suchbegriff etwas Versöhnendes mit der (Mode-)Welt.
Designerin Emily Mae Martin nennt sich 'Repair Specialist'. Sie arbeitet, zusammen mit anderen begabten Kunststopferinnen, bei Toast, einem nachhaltig arbeitenden Bekleidungslabel aus Großbritannien, das Ende der Neunzigerjahre mit Nachtwäsche anfing, und heute eine komplette Garderobe an Lieblingsteilen anbietet. An sechs Standorten (Hier eine Liste toa.st >>>) kann man seine Toast-Kleidungsstücke umsonst reparieren lassen. Zusammen mit dem jeweiligen Reparierspezialisten − Emily arbeitet in Edinburgh − kann man besprechen, wie so eine Reparatur aussehen soll. Das ist wahrer Luxus.
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Photo Credit: Ali Clifford/Incredibusy, Emily Mae Martin
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